Eine weitere Erfolgsmeldung – Gerichtssekretär aus Haft entlassen

Am 18. Juli 2018 verurteilte das St. Petersburger Bezirksgericht von Kalininsky den ehemaligen Gerichtssekretär und Whistleblower Aleksandr Eivazov wegen «Behinderung der Justiz im Amt» zu einem Jahr und zehn Monaten in einer offenen Strafkolonie. Er wurde am 21. Juli entlassen, nachdem er seine Strafe bereits in vollem Umfang während der Untersuchungshaft verbüsst hatte.

Im Oktober 2016 nahm Aleksandr Eivazov seine ­Arbeit als Gerichtssekretär beim Gericht des ­Landkreises Oktyabrsky in St. Petersburg auf. Sein Wunsch war es, eines Tages Richter zu werden.

Doch schon bald erlebte er an seinem Arbeitsplatz Verstösse gegen das Arbeitsrecht und gegen ­ethische Grundsätze: Sekretariatsangestellte wurden ­aufgefordert, Protokolle über Verhandlungstermine zu fälschen, Richter führten ihre Beratungen nicht hinter verschlossenen Türen durch. ­Eivazov ­reichte Beschwerde ein – bei höheren gerichtlichen Instanzen, beim Qualifizierungskollegium der Justiz, aber auch beim Inlandgeheimdienst. Eine Reaktion blieb aus. Darauf informierte er Journalisten und verbreitete seine Feststellungen im Internet.

Im Dezember 2016 kündigte Eivazov seine Stelle. Im folgenden Monat suchte ihn der Vizepräsident des Gerichts in Begleitung von uniformierten Beamten auf und forderte ihn auf, das rückdatierte Protokoll ­einer ­Gerichtsverhandlung zu unterzeichnen. Eivazov ­lehnte ab. Kurz darauf wurde gegen ihn ein Straf­verfahren wegen Behinderung der Justiz eingeleitet.

Seit dem 22. August befindet sich Eivazov in Untersuchungshaft. Amnesty International setzt sich für seine umgehende Freilassung ein. Aleksandr Eivazov ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der lediglich aufgrund der Wahrnehmung seines Rechts auf freie Meinungsäusserung strafrechtlich verfolgt wird. Eivazov leidet an Asthma und befindet sich mittlerweile in einem besorgniserregenden Zustand, da ihm jegliche medizinische Versorgung verweigert wird.

Der Gerichtsschreiber ist nicht der Erste, der auf Mängel im russischen Justizsystem aufmerksam machte. 2014 brachte der Uno-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten seine «Sorge über Vorwürfe zu (…) Drohungen und unzulässiger Einflussnahme, Behinderung und Druck auf die Justiz» zum Ausdruck.

Am 18. Juli 2018 befand das St. Petersburger Bezirksgericht von Kalininsky Aleksandr Eivazov wegen «Behinderung der Justiz im Amt» (Paragraf 294, Teil 3 des russischen Strafgesetzbuches) für schuldig und verurteilte ihn zu einem Jahr und zehn Monaten in einer offenen Strafkolonie. Das Gericht stellte fest, dass Aleksandr Eivazov absichtlich und aus persönlicher Abneigung gegenüber einem Richter handelte, mit dem er von Oktober bis Dezember 2016 zusammenarbeitete, als er es versäumte, ein Verhandlungsprotokoll vorzubereiten und zu unterzeichnen. Nur Tage vor dem Urteil des Bezirksgerichts trat ein neues Gesetz in Kraft, das vorsieht, dass ein Tag in Untersuchungshaft zwei Tagen in einer offenen Strafkolonie entspricht. Dieses neue Gesetz hatte zur Folge, dass Aleksandr Eivazov die Zeit, die er nach dem Schuldspruch im Gefängnis verbringen sollte, bereits während der Untersuchungshaft verbüsst hatte. Er wurde am 21. Juli aus der Haft entlassen. Aufgrund der ursprünglichen ungerechtfertigten Inhaftierung legt sein Rechtsbeistand gegen das Urteil Rechtsmittel ein.

Der ehemalige Gerichtssekretär Aleksandr Eivazov wurde am 22. August 2017 in Sotschi im Südwesten Russlands zu Unrecht wegen «Behinderung der Justiz im Amt» (Paragraph 294, Teil 3 des russischen Strafgesetzbuches) und «Verleumdung im Amt» (Paragraph 128, Teil 3 des russischen Strafgesetzbuches) inhaftiert, nachdem er Menschenrechtsverletzungen im russischen Justizsystem aufgedeckt hatte. Die Anklage wegen «Verleumdung» wurde in einer Anhörung am 28. Juni wegen fehlender Beweise von der Staatsanwaltschaft fallengelassen.

Dem Rechtsbeistand von Aleksandr Eivazov zufolge war der Fall ein «politischer, kein rechtlicher». Dies würde erklären, warum das Strafmass so hart ausfiel — höher, als von der Staatsanwaltschaft gefordert und höher als ein Gericht normalerweise gegen eine Person verhängen würde, die zum ersten Mal wegen dieser Anklage schuldig gesprochen wird – aber Zugeständnisse für beide Seiten machte. Es ermöglichte schlussendlich die Freilassung von Aleksandr Eivazov innerhalb weniger Tage und erlaubte gleichzeitig den Behörden, die die ungerechtfertigte Strafverfolgung einleiteten, das Gesicht zu wahren.

Vielen Dank allen, die Appelle geschrieben haben. Weitere Aktionen des Eilaktionsnetzes sind nicht erforderlich.

 

Quelle: plädoyer 06/2017 vom von Lisa Salza, Amnesty International sowie Amnesty Schweiz